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Wissenswertes über Physiotherapie

Gesundheitsfachberuf

Die Physiotherapie gehört als einer der Gesundheitsberufe zum deutschen Gesundheitssystem. Seit langem ist die Physiotherapie in vielen verschiedenen Bereichen vertreten; sie wird beispielsweise im Krankenhaus, in Therapiepraxen oder Rehabilitationszentren als kurative (heilende) Maßnahme eingesetzt. Ebenso wichtig, mit steigender Tendenz, setzt sich in allen Bereichen die Prävention (Vorbeugung vor Erkrankungen) durch. So werden, vor allem in Gruppentherapien, Präventionskurse zum Erhalt und zur Förderung der Gesundheit angeboten. Besonders steht hierbei die individuell angepasste Einrichtung des Arbeitsplatzes im Fokus, da dieser eine besonders hohe Gefahrenquelle für Rückenerkrankungen darstellt. Entsprechend der Vielzahl der Arbeits- und Einsatzorte gibt es zahlreiche physiotherapeutische Anwendungen. Die Physiotherapie beinhaltet aktive, selbstständig ausgeführte Bewegungen sowie passive Behandlungstechniken, welche durch eine(n) Physiotherapeut*in durchgeführt werden. Hierzu zählen sowohl mechanische Reize aus der physikalischen Therapie (Wärme-, Kälte- oder Elektrotherapie), als auch Techniken an Gelenken (Manuelle Therapie) oder am Gewebe (Massagen) (vgl. Zalpour, 2014).

Als Heilverfahren hat die Physiotherapie ihren Ursprung weit zurück in der Antike. Erfahren Sie mehr über die Entstehung und Entwicklung der Physiotherapie in Deutschland.

 

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Verständnis und Handeln der Ärzte durch ein tief verankertes naturwissenschaftliches Bild geprägt. Sie vertraten die Meinung, dass ausschließlich die Naturwissenschaften in der Medizin verwendbar seien. Das damalige Weltbild war die logische Folge der Körper- und Seelentrennung (Leib-Seele-Dualismus). Diese Theorie – die Trennung von Körper und Geist – wurde maßgeblich von dem französischen Philosophen René Descartes formuliert. Sie ging davon aus, dass Krankheiten nur den Körper betrafen, unabhängig vom Geist (vgl. Alt, 2007). Krankheiten, die den Geist eines Menschen betrafen, standen in keinem Zusammenhang zu körperlichen Funktionsstörungen. Das „Irresein“ beeinflusste weder den Körper, noch konnte das Bewegungs- und oder Organsystem eines Menschen den seelischen Zustand verändern. Der sogenannte „Irrenarzt“ stand als einziger im Fokus der Behandlung, wenn es um die Heilung von Seele und Geist ging (vgl. Hüter-Becker, 2004).

Ende des 19. Jahrhunderts galt: Der Körper und Geist sind zwei völlig unabhängige Instanzen

Die Physiotherapie (früher Heilgymnastik) entwickelte sich, wie viele weitere Gesundheitsfachberufe, aus der Medizin. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr die Physiotherapie ihren Beginn in der Orthopädie. Diese entwicklungsgeschichtliche Spezialisierung der Physiotherapie in den klassischen medizinischen Bereichen hatte das Ziel, sich in den jeweiligen Fachbereichen zu etablieren und zu wachsen. Dennoch galt der physiotherapeutische Beruf über eine lange Zeit hinweg als „Hilfsberuf“ der Medizin.

In der sogenannten Heilgymnastik wurden lediglich Behandlungen von Deformitäten des Bewegungsapparates durchgeführt. Klassisch wurde versucht, Haltungsschwächen und -fehler der Patient*innen zu korrigieren. Erst im Laufe der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts arbeiteten die Krankengymnast*innen auch in der Chirurgie, Inneren Medizin, Neurologie, Gynäkologie und zum Schluss in der Pädiatrie sowie Neuropädiatrie (vgl. Hüter-Becker, 1997/2004). Mit der zunehmenden Etablierung in den verschiedenen Fachbereichen vermehrten sich zugleich auch die anwendbaren physiotherapeutischen Konzepte, Prinzipien und Techniken. Mit steigender Vielfalt in den Behandlungsbereichen entwickelte sich in der Gemeinde der Physiotherapeut*innen der Wunsch, eigene physiotherapeutische Modelle zu veröffentlichen. Sie sollten Ordnung in die weit verzweigte Physiotherapie bringen.

Physiotherapie (früher Heilgymnastik) entwickelte sich, wie viele weitere Gesundheitsfachberufe, aus der Medizin. Mit steigender Vielfalt in den Behandlungsbereichen entwickelte sich in der Gemeinde der Physiotherapeut*innen der Wunsch, eigene physiotherapeutische Modelle zu veröffentlichen.

Innerhalb der Physiotherapie breitete sich über die Jahre der Wunsch nach einer Reorganisierung aus. So wurde 1997 ein neues Konzept der Physiotherapeutin Antje Hüter-Becker eingeführt. Dieses Modell sollte sich nicht mehr an den medizinischen Fachbereichen orientieren. Die ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen und die Therapie werden stattdessen mithilfe der vier Wirkorte der Physiotherapie durchgeführt. Diese werden im „Neuen Denkmodell“ beschrieben als

das Bewegungssystem,
die Bewegungsentwicklung und -kontrolle,
das Organsystem und
das Erleben und Verhalten

eines Menschen.

Alle vier Wirkorte werden gleichermaßen in der Therapie berücksichtigt und in die Therapieplanung- und -durchführung integriert. Dadurch wurde der bis dahin bestehende Leib-Seele-Dualismus von Descartes durch holistische Aspekte erweitert und folgt demnach eher einem bio-psycho-sozial-ökologischen Verständnis (vgl. Hüter-Becker, 2008).

Die Ziele des „Neuen Denkmodells“ waren die Darstellung der Physiotherapie als eigenen einheitlichen Fachbereich und einhergehend mit dieser Emanzipation, die Abkehr von der Fokussierung auf lediglich Körperfunktions und -strukturebene, bei der Behandlungsausführung. Entgegen dem Leib-Seele-Dualismus von Descartes wurde den behandelnden Physiotherapeut*innen bewusst, dass (therapeutische) Bewegung auch automatisch die Psyche und somit das Wohlbefinden beeinflussten. Folglich entstand ein Paradigmenwechsel in dem ein ganzheitlicher Therapieansatz (Körper, Geist, Umwelt und Verhalten) berücksichtigt werden sollte.

Zusammenfassend können folgende Aussagen getroffen werden (vgl. Hüter-Becker,1997/2004; Baeumer, 2013):

Das „Neue Denkmodell“ ermöglichte der Physiotherapie eine

  • Neustrukturierung und Emanzipation im Gesundheitswesen
  • Überprüfbarkeit der Behandlung auf verschiedenen Ebenen
  • Fokussierung zur Prävention und Rehabilitation
  • Ganzheitliche Therapie mit dem Menschen
  • Weiterentwicklung zur eigenständigen Wissenschaft
  • Hinführung zum akademischen Studiengang

Neben dem „Neuen Denkmodell“ führen einige weitere therapeutische Modelle, wie zum Beispiel das „Mehrdimensionale Belastungs-Belastbarkeitsmodell“ (vgl. van Vonderen, 1990) und das „Modell der menschlichen Bewegung“ (vgl. Probst, 2007) zu einem Wandel in der Physiotherapie. Diese Modelle bieten den Therapeut*innen eine Anleitung zum Handeln. Sie beinhalten einen richtungsweisenden Charakter und ermöglichen es den Therapierenden, ihr Handeln zu rechtfertigen. Neben diesen physiotherapeutischen Modellen führte, vor allem das von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) eingeführte ICF-Modell (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) zu einem Paradigmenwechsel im gesamten Gesundheitswesen. So veränderte sich mit der Einführung der deutschsprachigen Endfassung von 2005 auch der Blickwinkel in der Physiotherapie. Grundsätzlich dient das ICF-Modell zur Klassifizierung von Gesundheits- bzw. Krankheitsfaktoren eines Menschen (siehe Abb.1). Ziel ist es, eine Ordnung und Übersicht zu erstellen und eine einheitliche Sprache im Gesundheitswesen zu generieren. Es hilft zur Vereinfachung komplexer Strukturen bei der ganzheitlichen Erfassung einer betroffenen Person.

Quelle: https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icf/ [23.11.2020]

Wenn auch das ICF-Modell in erster Linie ein Werkzeug ist, um „Ordnung“ und „Vereinfachung“ im Gesundheitswesen zu liefern, verhilft es heute insbesondere den Physiotherapeut*innen, einen ganzheitlichen Blick auf den Mensch zu erhalten. Wie auch beim „Neuen Denkmodell“ von Antje Hüter-Becker unterstützt das ICF-Model die/den Therapeuten*innen dabei, Zusammenhänge in der Welt des Patienten zu verstehen und somit Therapien individuell anzupassen. Der revolutionäre Kerngedanke dabei ist, die Therapien nicht defizitorientiert, sondern an den Ressourcen und Stärken der betroffenen Person zu gestalten.

Literaturquellen:

Alt, P.-A. (2007). Descartes und Leibniz. Aufklärung: Lehrbuch Germanistik. (3. Auflage, S.15). Stuttgart: J.B. Metzler
Baeumer,F. (2013). Das neue Denkmodell nach Antje Hüter-Becker in der Primärqualifizierung der Physiotherapie. pt_Z.f. Physiotherapeuten, 65 (10), 86-89.
Hüter-Becker, A. & Dölken, M. (Hrsg.) 2004. Recht, Beruf und wissenschaftliches Arbeiten (S. 70-71). Stuttgart: Georg Thieme.
Hüter-Becker, A. (1997). Ein neues Denkmodell für die Physiotherapie. Z.f. Krankengymnastik, 49, 565- 569.
Hüter-Becker, A. (2008). Die Brügge-Therapie und das Neue Denkmodell in der Physiotherapie. Pt. Z.f. Physiotherapeuten, 60 (08) Verfügbar unter http://bruegger-thera-pie.com/artikel.html [17.12.2016]
Zalpour, C. (Hrsg.). (2014). Lexikon Physiotherapie. (2. Aufl.). Heidelberg: Springer.
Peterßen, W.H. (2001). Lehrbuch Allgemeine Didaktik. 6. völlig überarb. Aufl. München: Ehrenwirth.

Internetquellen:

https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icf/icfhtml2005/zusatz-02-vor-einfuehrung.htm [05.02.2020]

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